Bedürftige in Itzehoe: Ehrenamt mit Lächeln im Gesicht
Bericht aus der Norddeutschen Rundschau vom 27.12.2023:
Pöbelei an der Brotausgabe. „Ich brauche Essen für zwei!“, brüllt ein älterer Herr, der sein Gesicht hinter einer heruntergezogenen schwarzen Mütze versteckt. Die Ehrenamtliche hinterm Tresen bei der Tafel Itzehoe erwidert: „Andere benötigen hier Essen für fünf Menschen. Mehr können wir Ihnen nicht geben“, während der Mann wild mit der Brötchentüte gestikuliert. Sofort zieht die Situation die Aufmerksamkeit im etwa 80 Quadratmeter großen Raum auf sich. Schnell geht Karsten, einer der großen Männer, die sich um die Ordnung und Sicherheit kümmern, dazwischen und befiehlt dem alten Mann weiterzugehen. „Solche Situationen gibt es hier manchmal. Wir müssen nicht allen helfen. Wenn sich jemand so benimmt, dann darf er hier bald nicht mehr einkaufen“, erklärt Karsten.
Zur Tafel Itzehoe kommen mehr als 350 bedürftige Menschen, um für ihre Familien Lebensmittel abzuholen. Die von Supermärkten und Bäckereien abgegebenen Waren wären sonst im Müll gelandet: „Die Krux ist, dass es ein Mindesthaltbarkeitsdatum ist. Das Meiste ist noch super“, sagt Ellen Golinja, Ausgabeleiterin bei der Tafel Itzehoe.
Vor der Tür stehen die Menschen bei frostigen Temperaturen Schlange. Eingepackt in Schals, Kapuzen und Handschuhen, ausgerüstet mit Rollator, Kinderwagen und Einkaufstrolley. Leise schnacken ein paar miteinander, andere wiederum warten still darauf, dranzukommen. Als Türsteher kümmert sich der zwei Meter große Reiner, ehemaliger Justizvollzugsbeamter am Amtsgericht Itzehoe, um Ordnung und System. Absperrband am Straßenrand sorgt für eine klare Richtung und Reihenfolge. Frank Diebert, Fahrdienstleiter der Tafel Itzehoe, erklärt: „In den letzten zwei Jahren hat sich die Anzahl der Leute, die wir versorgen, verdoppelt. Am Anfang hatten wir eine Menschentraube vor der Tür, weil die Leute dachten, die Letzten kriegen nichts mehr.“
Nun hat jeder eine Nummer und muss in der von den Markierungen geleiteten Schlange warten. Nur die über 70-Jährigen mit Rollator und Frauen mit Kleinkindern kommen bevorzugt dran. Stress vor der Tür gibt es keinen. Dort treffen die Leute auf Reiner, den Türsteher mit grauem Bart, blauer Mütze und einem Lächeln im Gesicht, der sie freundlich hereinlässt. Den Innenraum, mit weißen Wänden, Kühlschränken und Neonröhren, die ihr weißes Licht im Raum verteilen, füllt die Belegschaft im Rentenalter mit Farbe und Freude. An jeder Station wird viel mit den Personen gesprochen – was im Vorrat ist, wird angeboten. Bei den Konserven und haltbaren Waren sammeln sich die Einkaufstrolleys: „Muslime fragen, ob in den Gerichten Schweinefleisch oder Alkohol drin ist. Das Kleingedruckte auf den Verpackungen kann ich aber selber kaum lesen“, sagt Rosi von hinter der Theke. Zwar dauert es dort etwas länger, aber die Kuchenpakete vom Bäcker trösten. Im Vorbeigehen freuen sich alle über die Süßigkeit und die Portionen werden schnell verstaut.
Das Stapeln der leeren grünen Ausgabekisten erzeugt alle paar Sekunden ein dumpfes Klacken im Hintergrund, wenn sie ineinandergreifen. Die Ausgabe läuft wie eine gut geölte Maschine, jeder hat seine Aufgabe und alle bemühen sich, Tempo vorzulegen.
Während der Trubel im Laden voranschreitet, fängt vor der Gemüseauslage ein kleiner Junge an zu weinen. Alles stoppt, er ruft nach seiner Mutter. Einige Tafelmitarbeiter kommen ihm zur Hilfe, bis Sekunden später die Mutter von außen durch die Tür hereinguckt. Offensichtlich hatte der Kleine den Anschluss verloren. „Hast du so böse geguckt?“, wird Steffi an der Gemüseausgabe gefragt. „Ne, er musste nur weinen, weil wir keinen Spitzkohl mehr haben“, antwortet sie. Nach kurzem Gelächter tritt die vorherige Routine ein.
Das Weißbrot ist schnell vergriffen, in der Kühlabteilung werden die Reihen an Eierkartons und Joghurt schnell ausgedünnt, nur die Bierwurst wird dankend abgelehnt: „Kein Schwein.“ Beim Obst sind es die Zitrusfrüchte, die schnell weggehen: „Gerade ist Orangenzeit. Die letzten Äpfel für dieses Jahr gibt es auch noch.“ Eine Kiste mit braun-gefleckten Bananen steht für jeden zur freien Verfügung: „Die sind noch gut, aber schon sehr weich.“
Die Schlange vor der Tür wird kürzer. Es wird ruhiger. Vorbei sei die Ausgabe allerdings erst in einer Stunde. Wann alle versorgt sind, weiß hier niemand so genau. Klar ist: Heute und Freitag um 11 Uhr stehen die Menschen wieder vor der Tür.
Bild zur Meldung: Zwei Tafel-Helfer sortieren das Gemüse am Gemüsestand im Tafel-Laden. Foto: Joshua Leine